Wir kennen uns schon lange aus intensiven Internet-Gesprächen aber heute ist der Tag an dem wir uns zum ersten Mal Auge in Auge gegenüberstehen. Ich muss gestehen, ich bin ganz schön nervös. Wie begrüßt man eine Frau, der man in langen Online-Nächten nahezu alles, selbst die intimsten Träume und Sehnsüchte gestanden hat, der man aber nie von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand? „Hi, Claudia“ oder „Wie geht’s“ ist einfach zu flach. „Erfreut, Dich endlich mal zu sehen“ zu verlogen, es gibt nahezu keinen Teil von ihr, den Du – natürlich nur per Bild übers Netz – noch nicht gesehen hast. Du atmest tief durch, gehst in der Hotelbar auf sie zu und sagst einfach „Hallo“.
Erfreulicherweise scheint es ihr ähnlich zu gehen, denn mehr als ein „Hallo“ bringt sie auch nicht zustande. Du bestellst zwei Cognac, um das Eis zu brechen, und betrachtest sie intensiv. Die Bilder aus dem Internet werden zwar ihrem Körper, nicht aber ihrer Ausstrahlung gerecht, schießt es Dir durch den Kopf. Ihr aber scheint das unangenehm, sie meidet Deinen Blick, schaut überall hin, nur nicht in Deine Augen. Verärgert fragst Du sie – denn der Ärger hat Deine Verlegenheit besiegt – ob Du wieder gehen sollst. Ein kaum verständliches, gehauchtes „Nein“ ringt sich von ihren Lippen. Befriedigt zahlst Du die Rechnung, lässt Dir vom Barkeeper noch eine eiskalte Flasche Cognac mitgeben und machst Dich auf den Weg mit ihr in Euer Doppelzimmer. Im Fahrstuhl meidet sie weiter Deinen Blick, aber ihr Verhalten spricht Bände und Du liest in ihr wie in einem Buch. „Wie werde ich bloß den alten Säufer schnell wieder los“, scheint sie sich zu fragen. Wenn die wüsste!
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