Lilly auf Abwegen 3.
„Auch im Bett… hat er nicht viele Erfahrungen mitgebracht.“
Oh Scheiße, das wollte ich nun nicht hören. Sie fuhr gnadenlos fort.
„Er… wie soll ich das sagen… ist da für meinen Geschmack zu schnell mit zu wenig zufrieden. Auch was die Abwechslung angeht.“
Auch das konnte, aber wollte ich mir nicht vorstellen.
„Ich bin da eher wie du“, schloss sie die kleine Tortur, um gleich die nächste einzuleiten.
„Hm… auch das kann sich geben, wenn er richtig auf den Geschmack gekommen ist“, versuchte ich ein letztes Einlenken.
„Da fällt mir ein, ich habe dein Buch natürlich zu Ende gelesen. Zweimal. Und mir noch zwei andere gekauft, ich bin leider noch nicht dazu gekommen, die anzufangen. Ich bin total begeistert.“
„Da bist du die Erste in der Familie, der das so geht.“
„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich das erregt hat.“
Autsch. Jetzt geht’s los. Doch kann ich. Will ich aber nicht. Will ich aber nur zu gern. „Das ist die Intention des Buches. Ich habe eine ziemlich feuchte Leserschaft.“
„Und sehr viel Fantasie.“
„Öhm… nö, der Sex ist schon sehr dicht an Erlebtem.“
Das machte sie still. Wahrscheinlich nicht nur das. Jetzt britzelte es mächtig in der Küche. Sie schluckte.
„Weißt du, aber auch wie du die Beziehung beschreibst, auch wenn du die in dieser Form nie erlebt hast… macht mir klar, dass es irgendwie mit einer Frau leichter ist, diese intuitive Verständnisebene zu finden, wo man eben nicht alles erklären muss, weil die andere versteht, was du fühlst und denkst. Und willst.“
„Das wird so sein. Sicher gibt es in Beziehungen mit Männern andere Vorteile.“
Sie schwieg lange. Der Abwasch war fertig. Ich half ihr noch beim Einräumen der großen Kuchenteller. Unsere Hände berührten sich dabei. Das war ein mittlerer Stromschlag. Echte Funken. War hier aber normal in der Küche, hing mit dem Bodenbelag zusammen.
„Was war denn das?“, fragte sie verblüfft, da sie das noch nicht kannte.
„Statische Aufladung, der Fußboden. Ist noch schlimmer, wenn du an Metall packst, wie der Heizung zum Beispiel. Hier“, führte ich das vor. Da knallte es sogar leicht.
„Aha. Aber… das waren nicht die einzigen Funken, die hier fliegen, oder bilde ich mir das alles nur ein?“
Mädel. Lass es doch bitte.
„Nein. Und darum: Wir sollten jetzt besser zurück. Oder soll ich jetzt schon Kuchen zum Mitnehmen portionieren?“
„Du hast ja Recht. Nein, machen wir später. Ich bin mir gar nicht sicher, ob Ulli das will. Er macht in den nächsten Tagen so eine komische Mittelschicht, wo er erst am frühen Abend zurück ist. Da kommen wir gar nicht zum Kaffeetrinken.“
„Oki.“
Und den schnellen Abgang. Lieber wieder Krankheitsgeschichten hören. Oder Onkel Herberts Thailand-Erzählungen lauschen. Mein Herz wummerte wie wild. Ich hatte einen Knoten im Magen. Jetzt schaute mich Ulli auch noch lange an. Dem ging es wirklich nicht gut. Das sah man wirklich nur, wenn man ihn genau kannte.
Scheiße, warum unterhalten wir uns gar nicht mehr? Das war doch mal anders. Da hat er mir jeden Scheiß erzählt. Ist das alles quer. Jetzt bin ich wirklich total verwirrt. Gott sei Dank, Vattern hat Biere reingebracht. Und’n Kurzen zur Verdauung. Manches lässt sich nur schwer verdauen.
„Papa, gibst du mir noch einen Schnaps?“
„Du kannst meinen haben“, sprang Sara mir bei, als bei Vattern schon die Augenbraue hochging. Wirklich? Na gut. Hauptsache rein das Zeug.
Irgendwie überlebte ich den Rest des Tages. Betrinken konnte ich mich nicht, weil ich wieder mit dem Auto da war. Spielte zwischenzeitlich mit dem Gedanken, mir die Kante zu geben und mich von jemanden nachhause fahren zu lassen. Ich setzte mich an den Computer und schrieb.
Schrieb. Schrieb. Mir die ganze Scheiße, die ganze Zerrissenheit, den ganzen Frust, aber auch die ganze Lust aus dem Leib. Na ja, bei letzterer musste mein kleiner vibrierender Hase unterstützend eingreifen. War klar, an wen ich denken würde, als ich kam. Alle drei Male.
Zwei Wochen später rief sie mich an.
„Hi.“
„Hallo Lilly. Ich wollte mich schon früher melden, aber die letzten Tage waren chaotisch. Hast du… hast du es schon gehört?“
„Öhm… was?“
„Dass wir uns getrennt haben?“
Fuck.
„Nein, Ulli hat sich bei mir noch nicht gemeldet. Wann?“
„Vorgestern. Es ging nicht. Wir sind zu verschieden. Ich komme mit seiner Art einfach nicht zurecht.“
Was ein Brett. Armer Ulli. Ich hatte befürchtet, dass sie das machen würde. Aber nicht so schnell.
„Wie ist das, wollen wir uns vielleicht treffen, und in Ruhe reden?“, fragte sie schnell danach, bevor ich eine sinnvolle Entgegnung gefunden hatte.
„Natürlich. Bist du okay? Das nimmt dich doch bestimmt auch ganz schön mit.“
„Ja, er hat es nicht gut aufgenommen. Er verarbeitet es wohl sehr langsam. Es war alles ein bisschen viel für ihn, nehme ich an. Deshalb habe ich ihm nicht alles gleich gesagt, sondern nach und nach. Er wollte sich übermorgen nochmal zu einem klärenden Abschlussgespräch treffen.“
„Das klingt zwar ganz und gar nicht nach ihm, aber dass es ihn getroffen hat, glaube ich schon. Wann möchtest du dich denn treffen?“
„Hast du jetzt schon was vor?“
„Eigentlich nicht.“
„Dann kann ich hochkommen?“
„Hochkommen?“
„Ich stehe mit dem Wagen vor deiner Tür.“
„Was… öhm… klar. Komm ruhig.“
Fuck. Hurra. Fuck. Runterkommen. Jetzt nicht durchdrehen. Da klingelte es auch schon. Wieder nahm sie mich in den Arm. Diesmal dauerte es länger, bis wir uns lösten. Und war bedeutungsvoller.
„So, komm doch rein, mach’s dir bequem. Soll ich uns einen Kaffee aufsetzen, oder möchtest du was Kaltes zu trinken?“
„Hast du vielleicht ein Bier?“
„Nein, da hat jemand gestern Abend ganz furchtbar zugeschlagen. Wein hätte ich noch, einen trockenen Weißen, wäre das was?“
„Noch besser, ich trinke Wein eigentlich lieber.“
Als ich mit Wein und Gläsern zurückkehrte, stand sie vor meinem Bücherregal.
„Dass es so viele sind, hätte ich nicht gedacht“, kommentierte sie die Sammlung meiner eigenen Bücher.
„Am Anfang habe ich unheimlich viel geschrieben und veröffentlicht. Jetzt dauert es immer länger, bis ich richtig zufrieden mit einer Geschichte bin. An meiner aktuellen schreibe ich schon ein halbes Jahr.“
„Auch wieder eine so schöne romantische?“
„Ja. Nun setz dich doch. Erzähle. Was genau ist denn passiert?“
„Ich habe einfach keine Chance mehr dafür gesehen, dass sich die Beziehung so entwickelt, wie ich mir das wünsche. Ich wollte ihn weder überfordern, noch wollte ich ihm wehtun. Weißt du, ich finde, es ist besser früh einzusehen, wenn es keinen Sinn macht. Manchmal reicht das Gefühl eben nicht. Da muss ganz viel Anderes stimmen.“
„Ja, verstehe ich. Aber das Gefühl ist weiterhin da?“
„Schon. Aber überlagert. Von einem weit stärkeren.“
Das hatte ich befürchtet. Und erhofft.
„Sara…“
„Nein, sag jetzt nichts. Ich weiß, dass es zu früh ist. Dass du Angst hast, deinem Bruder damit weh zu tun. Aber du sollst verstehen, dass ich… an nichts Anderes mehr denken kann. Dass ich mich so stark von dir angezogen fühle, dass es weh tut, nicht in deinen Armen zu liegen. Und du musst auch verstehen, dass ich ihn nicht wegen dir verlassen habe. Dass wir nicht zusammenpassen, hat nichts mit dir zu tun. Dass er mir nicht geben kann, was ich möchte und will… was ich brauche, hat mit dir nichts zu tun.“
Ja. Mag ja sein. Trotzdem würde er das nie verstehen. Trotzdem würde er mir die Schuld geben. Oh, Fuck.
„Weißt du, ich verstehe auch, was du fühlst. Dass du ihm nicht weh tun willst. Aber was ist mit dir? Hast du denn nicht auch das Recht, glücklich zu sein? Ich merke doch, dass du dir mit mir mehr vorstellen kannst, als nur ins Bett zu steigen. Dass du genau wie ich das Gefühl hast, dass es mit uns sogar sehr gut funktionieren könnte. Oder bilde ich mir das alles nur ein?“
„Du kennst mich doch gar nicht. Du kannst noch gar nicht wissen, wie ich wirklich bin.“
„Sei bitte ehrlich, wenn Ulli nicht wäre, was würdest du jetzt mit mir tun?“
„Ich möchte dich nicht unnötig geil machen.“
Sie lachte kurz auf, aber wurde sofort wieder ernst.
„Würdest du dich mit mir einlassen?“
Ach, Sara. Was jetzt? Alles dreht sich. Das ist nicht der Wein. Mein Herz schlägt bis zum Hals. Und es gibt nur eine Antwort.
„Ja.“
Sie schloss ihre Augen und atmete tief durch. Stellte das Weinglas weg. Rückte langsam näher.
„Dann tue es doch.“
Schon waren ihre Lippen auf meinen. Schlangen sich meine Arme um sie. Drückte sie fest an mich. Setzten alle Gedanken in diesem Augenblick aus. War der Kuss anders, als alle, die ich zuvor erlebt hatte. War so viel mehr drin. Schmeckte ich nicht nur sie, sondern eine, meine, unsere Zukunft?
Der Kuss wurde leidenschaftlicher, noch inniger, alles drängte in mir, aus der jetzt schwelenden Glut ein echtes Feuer zu machen. Überwältigte mich fast schon, dann riss ich mich mit letzter Kraft von ihren Lippen los.
„Wir… sollten das jetzt nicht tun“, hörte ich mich aus großer Entfernung sagen.
Nein. Diese Verzweiflung in ihrem Blick ertrage ich nicht. Ich will, ich muss dich glücklich machen.
„Vielleicht… wenn wir etwas warten…“, setzte ich noch an. Würde das was ändern? Wohl nicht. Es gibt keine gute Lösung. Aber es gibt diesen Moment. Dich. Uns. Jetzt.
Und zurück zu diesen wundervollen Lippen. Zu diesem betörenden, betäubenden Duft, den sie verströmte. Zu ihrem weichen, warmen Körper, den ich so fest presste, wie es nur irgend ging. Nie mehr loslassen wollte. Sie kippte von der Wucht meiner letzten Entscheidung um, auf ihren Rücken.
Schlang ihre Arme um meine Hüften, drückte mich nun an sie, so fest sie konnte.
„Das geht so nicht“, verkündete ich nach bizarren Minuten, in denen wir versuchten, ineinander hinzukriechen.
„Was…“
„Ich will dich richtig fühlen“, erklärte ich und setzte mich ruckartig auf. Zog mein T-Shirt mit einem Ruck über meinen Kopf. Öffnete meinen BH und warf in hohem Bogen über die Sofalehne. Sie war für einen Moment perplex, dann nestelte sie endlich an den Knöpfen ihres Hemds. Das dauerte mir alles zu lang.
Zwei Knöpfe ließ ich zu, dann packte ich ihren Hemdsaum und zog das Ding nach oben. Sie richtete sich leicht auf, und es gelang mir das Hemd ihren Kopf zu bringen. Aber dann stellten wir beide fest, dass es an den Ärmelknöpfen scheiterte, weil wir die nicht vorher geöffnet hatten.
Schnell schob ich die Ärmel wieder ein Stück zurück, und fummelte quälend lange an den Knöpfen rum, bis ich endlich beide geöffnet hatte. Sie hatte sich, da sie dort nicht helfen konnte, schon den BH entfernt. Wunderbare kleine Tittchen lachten mich unwiderstehlich an.
Wieder eine von diesen Baumwollhosen. Die sich blitzschnell runterreißen ließen. Sie trug einen weißen Spitzen-Tanga. Durch den ein dunkler Landungsstreifen schimmerte. Den wollte ich mir zum Schluss aufheben, schließlich musste ich mich noch selbst aus meiner Jeans pulen.
Meine Jazz-Pants schob ich gleich mit runter. Sara hatte schon sich selbst von ihrem Tanga getrennt, als ich dort ans Werk machen wollte. Ich griff sofort an ihre heiße Mitte, rieb kurz und schob dann zwei Finger in sie rein, während ich langsam über sie glitt. Ihre Hand fand ebenfalls ihr Ziel. Sie hatte meinen starken, doch unausgesprochenen Wunsch verstanden.
Nämlich den ersten Höhepunkt gemeinsam, und ihr dabei ins Gesicht schauend, zu erleben. So legte ich mich nicht ab, sondern kauerte leicht versetzt über ihr. Verband mich mir ihr einem Kuss, der bald so wild, wie unsere Hände wurde. Die mit immer größerer Dringlichkeit die Geliebte in das Reich der reinen Ekstase schruppten, fickten, schruppten, fickten.
Alles auf das reduzierten, selbst der Kuss nicht mehr aufrecht zu erhalten war. Wir im Gesicht der anderen das Nahen der kompletten Auflösung, der totalen, schieren Verzückung lasen. Aus unseren wollüstigen längst ins Animalische driftende Laute geworden waren. Die sich, wie alles, überschlugen, letzte Gedankenfetzen, dann alle Wahrnehmungen außer dem tatsächlichen Gipfelerlebnis auslöschten.
Ihr Höhepunkt tatsächlich bereits in meinen abklingenden hineinragte, nur um wenige Augenblicke versetzt. Einander fassungslos über die Intensität des gerade Erlebten, atemlos einfach nur anstarrten, bis sich unsere Lippen wiederfanden. Ich mich nun vollständig auf sie absenkte, unsere Beine sich verschränkten. Das heiße Epizentrum des gerade erlebten Bebens der Lust an unseren Schenkeln spürten.
Nicht den Versuch unternahmen, das Unsagbare in Worte zu kleiden, als der Kuss schließlich seine Auflösung fand. Um langsam und graduell wieder zurück in annähernd normale Wahrnehmung zurückzufinden. Unsere pochenden Herzen sich im Einklang wieder beruhigten.
Erst dann, nach dieser Entladung, waren wir wirklich frei. Von Gefühlen der Angst, Zweifeln. Sehnsucht nach diesem vermuteten, aber nie wirklich erlebten völlig anderen Modus des Zusammenseins. Von Frustration und verzweifelter, aber nie zugegebener Hoffnung zugleich gereinigt, begannen wir uns zu streicheln.
Zärtlichkeit zu empfangen und zu geben. Den Körper der Geliebten zu erkunden. Nur ein kurzer Gedanke bei mir, der wie ein Hauch des Begreifens des gerade Erlebten durch meinen Kopf wehte.
Wie kann sich etwas so falsch und zur gleichen Zeit so richtig anfühlen?
Konnte selbst diese flüchtige Erkenntnis mich nicht mehr zurückhalten. Wollte ich nur noch fühlen. Gefühlt werden. Forschen, erforscht werden. Hatte nach kurzer Zeit erst die rechte, dann ihre linke Brust komplett in meinem Mund. Perfekt passend, verwöhnte, auf die starken Rückmeldungen von ihr reagierend, minutenlang ihre Kostbarkeiten mit Mund und Zunge.
Denn plötzlich war es mehr als nur eine Ahnung. Ich wusste, was ich bei ihr auslösen könnte. Wusste, dass ihre starke Empfindlichkeit, die ich zuvor nur einmal bei einer Partnerin erlebt hatte, das schönste, höchste Gipfelerlebnis auf diesem Wege erreichbar machte. Ergötzte mich an ihrer Fassungslosigkeit, als es geschah.
Wanderte in diese hinein nach unten, wo mich ihre triefend nasse, heiße Weiblichkeit erwartete. Die ich nun mit meiner sensibelsten Freudenspenderin frei von jeder Hast widmete. Sie nicht trieb, nur den Zustand der Verzückung, der reinen Wollust herbeiführte. Dort langsam und geduldig die Erregung langsam höherschraubte.
Anders als bei ihren Nippeln, war dort die Empfindlichkeit nicht so ausgeprägt. Die letzten Stufen des Aufstiegs zum Gipfel nur mit äußerstem Druck und Gleichmäßigkeit zu meistern. Meiner gut trainierten Zunge doch alles abverlangte. Den Erfolg so noch versüßte.
Sie brauchte einige Zeit, um sich in meinem Armen von dem Doppelschlag zu erholen. Mit, wie sie später sagte, der jede Vorstellung und Erwartung übersteigenden Realität unseres ersten Liebesspiels. Dann kam ich in den Genuss ihrer explorierenden Hände, Zunge und Mund. Spürte ihr Einfühlungsvermögen, ihre Fähigkeit, mich und meine Reaktionen zu lesen.
Das machte sie nicht nur zu einer hervorragenden Liebhaberin, sondern rundete das Gesamtbild, das ich von ihr hatte, wunderbar ab. Erzeugte in mir exquisite Gefühle der Lust, und die Gewissheit, dass ich meiner sexuellen Zukunft mit Freude entgegensehen durfte. Leckte mich ruhig und geduldig an den Rand des Höhepunkts, um dort verlangsamend mit mir zur verweilen.
Mir die süßeste und schönste aller Frustrationen minutenlang zu bescheren, bevor mich ein heftiger und ungewöhnlich langer Orgasmus schüttelte. Länger noch in ihren Armen das unerwartet starke Gefühl von Liebe. Das mir trotz des Gefühls der Wärme immer wieder kalte Schauer über den Körper jagte. Mich erzittern ließ, frei jeder Angst. Vor Glück und der Ahnung einer erfüllten Zukunft.
***
Zu meiner Enttäuschung und Trauer übernachtete sie nicht bei mir, sondern verabschiedete sich kurz nach Mitternacht. Ich kriegte am Morgen nichts auf die Reihe. Saß einfach nur rum, außer mir vor Glück. Grinste wie blöd. Erlebte geistig diesen Wahnsinns-Abend noch einmal. Und nicht ganz so geistig mit der Hand in meinem Höschen.
Erst gegen Mittag fiel mir dann die Schattenseite unseres Zusammenkommens wieder ein. Mein Bruder. Ulli. Der Schmerz, den er unzweifelhaft fühlen würde, wenn er davon erfuhr. Den mein, den unser Glück verursachte.
Es schlug mir auf den Magen. Mir wurde leicht übel. Dann klingelte mein Handy, kurz nach zwei. Und die Stimme, die alles noch verschlimmerte. Fuck. Ulli. Ob ich Zeit hätte, mich zu unterhalten. Zeit ja, aber die Kraft? Wir hatten am vorherigen Abend noch beschlossen, ihm zunächst nichts von der Geschichte zu erzählen. Wobei Sara offen ließ, ob sie das bei ihrem Abschlussgespräch tun wollte.
Zu meiner Überraschung wollte er nicht wie sonst am Telefon reden, sondern zu mir kommen. War er überhaupt schon einmal in meiner neuen Wohnung gewesen? Nein. Er fand sie allerdings problemlos. Setzte sich auf den Platz, wo ich weniger als vierundzwanzig Stunden zuvor seine Geliebte vernascht hatte. Wo sie meine wurde.
Das Gespräch übertraf meine schlimmsten Erwartungen. Nun, da ich definitiv wusste, dass der Zug endgültig für ihn abgefahren war, öffnete er sich. Schüttete mir sein Herz aus, war so emotional, wie nie zuvor. Und wie von ihr eingefordert. Hatte sie mit Verzögerung doch ihr Ziel erreicht.
Das sah er auch so, und dem Gespräch am nächsten Tag mit ihr daher mit Zuversicht entgegen. Hielt es nicht wie sie für ein Abschlussgespräch, sondern die letzte Chance, das Ruder herumzureißen und wieder in den sicheren Beziehungshafen zu steuern. Die er unbedingt ergreifen wollte.
Und ich saß dabei, freute mich einerseits, dass er nun auch endlich zu mir wieder Vertrauen gefunden hatte. Das ich andererseits schon auf grausamste Weise missbraucht hatte. War seine offene Zuneigung eine Qual für mich. Direkt angelogen habe ich ihn nicht. Konkret sagte ich ihm nur, dass ich mit ihr gesprochen hatte, und sie wohl davon ausging, dass es zwischen den Beiden beendet war.
Er durfte niemals erfahren, was unserem Gespräch vorausgegangen war. Fuck. Warum? Warum musste ich den Eintritt in die vielleicht schönste Beziehung meines Lebens so teuer erkaufen? All die Glücksgefühle von dem vergangenen Abend und dem Morgen waren wie weggewischt. Ich heulte, fluchte, trank ein halbes Bier und musste tatsächlich kotzen gehen.
Ich kotzte mich selbst an. Figurativ, nicht real, da schaffte ich es noch bis zur Kloschüssel. Ich rief Sara gleich am Abend an, um sie über das Gespräch zu informieren. Schaffte es, auch sie am Telefon zum Heulen zu bringen, aber am Ende des Gesprächs waren wir wie gereinigt.
Auch für sie war das Gespräch mit Ulli am nächsten Tag ein Brett. Durch meine Vorbereitung wurde sie nicht ganz so kalt erwischt. Musste ihn enttäuschen, brachte dann aber die Dinge vor, die sie noch zurückgehalten hatte. So auch die Sexualität.
Was ich persönlich nicht gut fand. Weil ich mir vorstellen konnte, wie sehr er daran zu knabbern hatte. Wie sehr ihm dies an die Substanz ging. An diesem Abend trafen wir uns dann in ihrer Wohnung. Wo ich in der Folge öfter war, als in meiner eigenen. Wo wir unser kleines, kuscheliges, intimes Nest bauten, es gar keine Welt draußen mehr für uns gab.
Erst einen Monat, nachdem wir zusammengekommen waren, wagte ich, es ihm zu erzählen. Er war natürlich geschockt. Aber zu dem Zeitpunkt hatte er selbst seine irrationalsten Hoffnungen, noch einmal mit ihr zusammenzukommen, aufgegeben.
„Es ist okay. Ihr… passt sicher besser als wir zusammen. Und ich verstehe… gegen Gefühle kann man sich nicht wehren. Ich liebe dich doch, Lilly. Euch beide. Nur bitte… möchte ich euch eine Zeitlang noch nicht zusammen sehen. Verstehst du?“
Oh Fuck. Er verstand nicht, warum ich wie eine Schloßhündin heulte, ihn drückte, bis er Atemnot bekam. Er glaubte natürlich, dass er das tat. Sicher hat er es so auch gemeint, wie er es sagte. Ganz normal ist unser Verhältnis aber trotzdem seit diesem Tag nie mehr gewesen.
Unser Glück hatte einen hohen Preis. Wir haben ihn freiwillig gezahlt. Nur er nicht, und das wird mir bis an mein Lebensende leidtun. Er hat auch sein Glück gefunden, eine Frau die wirklich zu ihm passt. Und trotzdem…“Hey, hörst du jetzt endlich auf zu schreiben und kommst gefälligst ins Bett?“
Oh Fuck, schon wieder. Ich glaub’s nicht mehr. Hat sich mir viel zu gut angepasst.
„Ja, komme gleich.“
„Geil. Wirst du. Aber ich zuerst!“
Seht ihr? Das hat frau nun davon.