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Liebe unter Geschwistern

Amelie war schon vor Stunden ihre erste coole Party entgleist. Sie trank sonst nicht, also war das zweite Glas Wein zwar keine gute aber immerhin eine Entschuldigung für das Chaos, das sie zugelassen hatte. Das ging nur, wenn die Eltern nicht zuhause waren und heute war die Premiere dafür. Die Küche sah aus wie ein Schlachtfeld, was sie nicht daran hinderte, sich von ihrem Schwarm auf dem Tisch vögeln zu lassen.
Auf die Typen um sie herum, die nach ihr griffen hätte sie verzichten können. Auf deren Lachen und Grölen sowieso. Wäre ihr gewiss gewesen, dass außer ihnen keine weiteren Gäste mehr anwesend waren, hätte sie die Situation vielleicht als bedrohlicher wahrgenommen. Niemand hier tat das, bis auf ihren Bruder, der die Wohnung und dann die Küche betrat.

Er sah ihr nicht in die Augen, nur ins Gesicht, erkannte sie und die Situation aber keinen der Anwesenden.
„Raus! Alle!“

Die zwei, die ihm am nächsten standen grinsten ihn an. Als sie gegen die Wand in der Diele flogen, schienen sie kurz zu überlegen, ob sie es mit ihm aufnehmen wollten, verzogen sich aber. Der Stecher landete auf dem Boden, noch ehe er begriffen hatte, dass die miserable Nummer ein Ende hatte. Die beiden Verbliebenen hoben ihn auf, zogen ihn mit sich und ließen die Tür ins Schloss fallen.

Richard half seiner kleinen Schwester auf, trug sie ins Bad, weil er fürchtete, sie könnte fallen, ließ sie allein, als sie vor der Toilette kniete und kam wieder, als sie nur noch stöhnte, aber nicht mehr kotzte.

Er stellte sie unter die Dusche, stellte sicher, dass sie nicht fiel, trocknete sie ab und verfrachtete sie in ihr Bett.
„Danke. Bist mein Retter.“ „Du bist betrunken. Wir reden morgen.“ „Hab ich dir gefallen?“ „Was?“ „Du hast mir beim Duschen zugesehen. Ich will nur wissen, ob es dir gefallen hat.“ „Gute Nacht.“

Er hasste diese Typen, hasste Amelie dafür, dass sie sich ihnen hingab und vor allem sich selbst, weil er nicht auf sie aufgepasst hatte. Der erste Urlaub ihrer Eltern ohne sie und er ließ sie allein. Er war der beschissenste Bruder des gesamten scheiß Planeten.

„Wieso machst du sowas? Wieso gibst du dich für sowas hin?!“ Das war das Gegenteil von dem Katerfrühstück, das Amelie gerne gehabt hätte. Und dass ihr Bruder ihr die Fragen stellte, die sie sich sonst selbst stellte, machte es nur noch schlimmer. Ihr war klar, dass er sich nicht mit den Lügen begnügen würde, die sie sich für gewöhnlich selbst auftischte. Und zum ersten Mal hörte sie selbst die Antwort, die sie sich selbst immer verweigert hatte.

„Weil mich sonst keine Sau mit dem Arsch ansieht. Weil ich zu kleine Titten und einen zu flachen Arsch habe und überhaupt potthässlich bin!“ Sie schrie es heraus, weil es raus musste und fühlte sich kein bisschen erleichtert.
Die Tränen, die auch raus mussten, konnte sie nicht verhindern und sie verbesserten nicht das Geringste.

„Amelie, das ist einfach nicht wahr. Warum lässt du dir sowas einreden?“ Er nahm sie in den Arm, wenigstens hatte der Anpfiff ein Ende. Sie heulte nur noch mehr, als sie in seiner Umarmung hing. „Weil es eben wahr ist.“ „Das ist Unsinn. Du bist der liebenswerteste Mensch, den ich kenne. Wie du aussiehst oder ich ist doch vollkommen irrelevant, Was du für ein Mensch bist, zählt!“ „Aber nicht für mich!“ Sie drohte hysterisch zu werden, also nahm er sie in ihrem weißen Frottee-Bademantel und trug sie ins Schlafzimmer ihrer Eltern.

Er stellte sie vor dem großen Spiegel ab und sah ihr über die Schulter. „Sieh dich an.“ „Hässlich.“ „Okay, denk dir die verheulten Augen weg. Du bist bildschön!“ „Du spinnst!“ Er umarmte sie, öffnete ihren Gürtel und ließ den Bademantel an ihr herunterfallen. „Und jetzt sieh dir das hier an. Wenn das nicht der perfekte Körper ist, weiß ich es auch nicht.“ „Quatschkopf“, sagte sie und hatte zum ersten Mal an diesem Morgen ein erkennbares Lächeln im Gesicht.

„Nichts an dir ist verkehrt, weil du ein wundervoller Mensch bist.“ „Meine Brüste sind zu klein.“ „Sind sie nicht.“
„Sind sie doch!“, sie nahm seine rechte Hand und legte sie auf ihre linke Brust, als müsse er nachmessen. Sie lag da für ein paar Sekunden und er erschrak über seine Reaktion, als er sie wegzog. Der Schritt zur Seite verriet ihn, weil sie seine Shorts im Spiegel sehen konnte. Sie konnte ihr Grinsen nicht verhindern. „Ich nehme das mal als Kompliment.“

„Du hast alle Komplimente dieser Welt verdient, aber das hier war nicht beabsichtigt.“ Er stand wieder hinter ihr, hatte seine Hände auf ihren Schultern, sah sie durch den Spiegel an und gab ihr ein bisschen Sicherheit, ohne dass sie hätte sagen können, was in seinem Blick das tat.

Sie verbrachte den Tag damit, zu schmollen, zu heulen und nicht ans Telefon zu gehen. Er verbrachte seinen damit, ihr Essen zu machen und sie in den Arm zu nehmen und sich daran zu erinnern, dass er das zuletzt für seine Ex gemacht hatte. Sie landeten auf der Couch, bei Rotwein, den er ihr brachte und mit ihrem Kopf in seinem Schoß.
Richard hatte seine Finger in ihren Haaren und hoffte nur, sie würde wieder Lachen und diese Idioten vergessen, die nichts Besseres zu tun hatten als ihre Unsicherheit auszunutzen.

Als er sein zweites Glas holte, wollte sie keins, als es leer war, wollte sie ihn nicht gehen lassen. Er fragte sich, wo so viele Tränen herkamen und sie musste ihn nicht lange überreden, damit er sie mit in sein Bett ließ. Sie kuschelte sich an seinen Bauch, er umarmte sie und legte seinen Kopf an ihren.

„Dein Haar riecht gut“, sagte er im Halbschlaf und ihm viel auf, dass er auch das zuletzt zu seiner Ex gesagt hatte. Er bekam die zweite Erektion an diesem Tag und weil sie so unangebracht wie die erste war, drehte er sich um, hatte nur wenig Platz in seinem Bett und gratulierte sich zu der dämlichen Idee, Amelie bei sich schlafen zu lassen.

Am Morgen lag sie wieder an seinem Bauch, roch unverändert nach Amelie und Richard stand auf, um ihr Frühstück zu machen. Er servierte es im Bett und erinnerte sich, dass er auch das zuletzt für seine Ex gemacht hatte, allerdings mit deutlich abweichenden Absichten. Amelie brauchte ihn jetzt, also war er da. Sie schien sich nicht zu schämen, dass er ihre Brüste sehen konnte, als sie neben ihm saß und in ihr Brötchen biss.

„So gefällst du mir“, sagte er, „also nicht so nackt, so ohne dich für irgendwas zu schämen. Du bist wirklich schön.“
Er stand auf und lief aus dem Zimmer. Noch ehe sie überlegen konnte, warum, kam er wieder und hielt ihr den Handspiegel ihrer Mutter vor. „Sieh dich an. Du bist wirklich schön! Heb deine Arme, das hebt die Brüste.“ Sie tat es, musste ihm rechtgeben, war aber nicht überzeugt.

„Warte, wir machen das anders.“ Er verschwand wieder, kam mit der monströsen digitalen Spiegelreflexkamera ihres Vaters wieder und hielt ihr eine Hand hin. „Stell dich vor mein Fenster und nimm die Arme hoch. Jetzt vor die Wand, dreh dich um.“ Er ließ sie diverse Posen einnehmen, zeigte ihr die Bilder und sie fand einige davon nicht furchtbar, genau genommen sogar erträglich, ein oder zwei sogar schön.

„Ich nehme deine Shorts nochmal als Kompliment und deine Bilder als Geschenk hin“, sagte sie und musste wieder grinsen. „Das ist wohl beides ein Beweis dafür, wie schön du bist.“ Diesmal wich er nicht aus, nicht zurück und nicht von seinem Standpunkt ab.

Ihr erstes ernstzunehmendes Gespräch dauerte einen halben Tag und kreiste um Amelie, die sich vor Enttäuschungen fürchtete und mit den meisten Typen ihrer Altersklasse nicht viel anfangen konnte. Dann kreisten sie zunehmend um Richard und sein Engagement für amnesty, für campact, für occupy. Er erzählte ihr stundenlang von Kampagnen, an denen er beteiligt war, Aktionen, die er unterstützt hatte, Sachen, die er noch vorhatte. Es dauerte eine Ewigkeit, bis er merkte, wie sie ihn anhimmelte.

Als sie ihn abends fragte, ob sie wieder bei ihm schlafen dürfe, kam sein Nicken ohne Verzögerung. Sie merkte, wie er an ihrem Haar roch, zog seine Hand auf ihre Brust und ließ zu, dass er sie auf ihren Bauch legte. Er spürte, wie sich ihr Bauch hob und senkte, küsste ihren Kopf und sie schliefen ein.

Er bereitete sein drittes „Frühstück im Bett“ zu und das zweite für Amelie. Nach einem halben Brötchen fragte sie ihn, als sei das eine Frage nach dem Wetter, ob er ihr beibringen könne, wie man einen Schwanz bläst. „Kann ich nicht,“ versuchte er, ruhig zu bleiben, „da gibt es aber auch nichts beizubringen. Mach einfach, was dir gefällt.“
„Zeigst du mir wenigstens, wie man ihn perfekt wichst?“ „Auf keinen Fall! Was ist mit dir los?“ Sie wurde bockig, redete nicht mehr viel und wollte weder Kaffee noch Brötchen. „Meine Liebe, ich glaube nicht, dass du nicht weißt, wie man so etwas macht.“ „Stimmt“, antwortete sie und musste wieder gegen ihr breites Grinsen ankämpfen, „wollte dich austricksen.“

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